sábado, 24 de junio de 2017

DUMAS' PREUßISCHE ABENTEUER - REZENSION


Die feuilletonistischen Versatzstücke des Werks sind nur eher oberflächlich durch eine Art Mantel-und-Degen-Handlung miteinander verwoben. Da wird viel geliebt und gelitten, duelliert und niedergemetzelt: Von Bülow (Preuße, Baron) findet im Duell seinen Lehrmeister in Turpin (Franzose, Typ jugendlicher Held; erregt einen Skandal, weil er in Berlin öffentlich Vive la France ruft und dabei eine Champagnerflasche knallen läßt). Von Bülow und Turpin werden sofort dickste Freunde. 
Baron Bülow ist mit der schwarzhaarigen Emma verheiratet und will Turpin mit deren blonder Schwester Helene verheiraten. Helene liebt aber Karl von Freyberg (Österreicher, Graf). Preußen erklärt den Krieg, von Bülow und Karl von Freyberg kämpfen auf verschiedenen Seiten. Turpin, das kleine Genie, ist überall ein Helfer in der Not. Als die Preußen schwerste Kontributionen auferlegen, gerät von Bülow in Streit mit seinem vorgesetzten Oberst (der den schönen Namen Sturm trägt), fordert ihn zum Duell, bekommt aber eine Absage. Also erschießt sich der Baron ordnungsgemäß und trägt seiner Frau auf, dem König von Preußen (zufällig ein alter Freund von Bülows) es mitzuteilen. Karl wird schwer verwundet und heiratet Helene auf dem Sterbebett. Am Ende rächt Turpin von Bülow im Duell gegen den Oberst.
Das klingt alles ziemlich stereotyp und ist es auch, aber es liest sich zunächst höchst amüsant, leichte Unterhaltung der besten Art. (Der doppelte Boden kommt später!) Der Text hat viele Paradestücke, etwa das finale Degenduell zwischen Turpin und Oberst Sturm. Da ist Dumas bei sich. Nach all den Mantel-und-Degen-Filmen aus Hollywood glaubt man gar nicht, daß man einen Degenkampf auch literarisch so auf Tempo bringen kann. 
Die Schlachtbeschreibungen sind grausam, die Tode der Sympathieträger rührselig sondergleichen, die Trauerzüge schier endlos. Die Liebesszenen sind ein Gipfel der Trivialität: "Karl wandte sich an Helenes Ohr und die süßen Worte ,Ich liebe dich' fielen flüsternd von seinen Lippen in ihr Ohr wie der Hauch eines Flügelschlages eines Falters an einem Frühlingsabend, Atemzüge des ewigen Geheimnisses der Natur. ,Oh, Friedrich, Friedrich!' rief Helene, mit abgewandtem Gesicht, ,ich habe mich nicht geirrt!' Dann erhob sie ihren Kopf und, langsam ihre wunderschönen Augen öffnend, sagte sie zu Karl: ,Und ich, ich liebe dich.'" Karl geht in die Schlacht von Aschaffenburg, siecht durch das letzte Viertel des Romans und bekommt am Ende noch eine Transfusion aus Helenes Adern verpaßt, um für die Hochzeit zu Bewußtsein zu kommen. Nach vollzogener Trauung folgt der Tod, Helene geht am nächsten Tag in den Main, wieder ein Trauerzug.
Der Roman ist aber nicht bloß ein Rührstück und ein Drama von Krieg und Ritterlichkeit. Dumas drückt zwar kräftig auf die Tränendrüse, aber er verfolgt dabei eine viel weiter reichende Absicht. Diese Absicht macht den Roman vor allen Dingen interessant. Der ganze Roman ist eine antipreußische Polemik. Er versetzt uns mitten in die zeitgenössische politische Auseinandersetzung um Bismarck und den Krieg von 1866. Dumas sollte für das Pariser Journal "La Situation" ein Feuilleton mit dem Titel "La Terreur Prussienne" schreiben. Das erklärt vor allen Dingen den disparaten Ansatz des Werkes. Man kann nämlich fast nicht von einem fortlaufenden Roman sprechen, sondern von verschiedenen zusammengefügten Teilen, mit Überschriften versehen wie: "Das Haus Hohenzollern", "Österreicher und Preußen" und so weiter. Die erzählerischen Teile heißen dann "Benedict Turpin", "Helene", "Baron Friedrich von Bülow" et cetera.
Dumas exegiert in schönsten Aperçus unseren Nationalcharakter: "Wenn wir uns fragen, warum Deutschland nicht die großartige Position einnimmt, für die es vorgesehen ist, finden wir eine Antwort darin: Frankreich hat sich die Freiheit der Gedanken erkämpft, Deutschland aber gestattet sich lediglich die Freiheit eines Träumers. Die einzige Atmosphäre, in der es frei atmen kann, ist die einer Festung oder eines Gefängnisses." Er meint vor allem die Preußen. Bis auf Baron von Bülow sind die Preußen nämlich immer die Bösen. Deren König ist bloß eine Marionette in Bismarcks Hand, und kaum droht der Kanzler mit Rücktritt, werden ihm sämtliche Wünsche erfüllt. Was er will: ein Reich. Man kennt die Geschichte.
Alles in der Komposition des Romans ist diesem Prinzip untergeordnet, und wer wissen will, wie man einen Propagandaroman schreibt, braucht nur Dumas studieren. Das fängt schon damit an, daß der eigentliche Held des Buches (wenn auch nicht unbedingter Handlungsträger), der vielseitigst veranlagte, kosmopolitische Turpin, natürlich Franzose ist. Von perfekten Umgangsformen, unschlagbar im Duell (vorher legt er immer Jackett und Weste ab und kämpft im wehenden Hemd), begabt mit den unterschiedlichsten Talenten. Im Duell erobert er sich von Bülow zum Freund, den einzigen guten Preußen im Text, mit Grund. Von Bülow ist mit einem Österreicher befreundet, klar (dieser wird später von Preußen niedergemacht). Von Bülow lebt mit seiner Frau und deren Schwester.
Damit ist die Konstruktion komplett, sie erklärt sich folgendermaßen: Von Bülow wird dem Leser durch Turpin zum Freund, denn der Franzose ist ja sowieso Liebling des Lesers. Man legt die Kritik am besten einem Preußen selbst in den Mund, das ist am unverdächtigsten. Der Preuße selbst opfert sich im Kampf gegen die Preußen. Ach ja, und sein Freund (der dann auch stirbt) ist deshalb Österreicher, damit die Preußen einen größtmöglichen Schaden in der Familie anrichten können. Am Ende bleibt ja nur von Bülows Frau übrig (neben Turpin, dem Tausendsassa). Sämtliche Rührstückpartien bekommen dadurch einen polemischen Hintergrund, das ist der angesprochene doppelte Boden. Wenn man über Seiten mitverfolgt, wie Karl ausblutet und die wunderschöne Helene sich jungfräulich ersäuft, dann heißt das natürlich immer: Seht, die grausamen Preußen, ein furchtbares Regiment . . . das ist der Preis, den Bismarck euch zahlen läßt für sein Reich!
Der Roman ist, oberflächlich gelesen, sehr unterhaltsam, und wenn man seinen agitatorischen Charakter wahrnimmt, dann wird er noch viel unterhaltsamer. Die historische Distanz macht es einem natürlich leicht, man ist ja nicht mehr Partei. Dumas' Roman ist herrlich einseitig, chauvinistisch, schräg und schief, aber er ist auch sehr intelligent, abwechslungsreich, lehrreich, kunstvoll, und er versetzt den Leser mitten ins Getümmel einer anderen Zeit.  Immer vorausgesetzt, Dumas ist der Autor. Ja, dieser Verdacht . . . Aber was soll's! Wenn das ganze Preußen-Polemik-Spektakel nur Tarnung für ein literarisches Kuckucksei wäre, wäre die Sache irgendwie noch grandioser...
Wir halten immerhin fest: Eine wirkliche Entdeckung und gelungene Überraschung, zum Vergnügen des Lesers.

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