Die Suchwanderung ist bei diesen Märchen oft mit dem Motiv der »falschen Braut« kombiniert (was dann das retardierende Moment liefert): der gesuchte Partner wird zwar gefunden, doch er erkennt seine Partnerin nicht und ist im Begriff eine andere zu heiraten.
MÄRCHEN DEM MOTIV DER FALSCHEN BRAUT/SCHLAFTRUNK
DAS SINGENDE SPRINGENDE LÖWENECKERCHEN (HESSISCH, GRIMM)
Der verwunschene Prinz kämpft mit einem Lindwurm (einer verwunschenen Prinzessin). Die Frau könne ihrem Mann helfen, wenn sie den Lindwurm mit einer ganz bestimmten Rute schlägt. So geschieht es, doch so wie der Lindwurm besiegt ist, wird er zur Prinzessin, die er vor seiner Verwandlung war, und diese betrachtet den Prinzen als ihren rechtmäßigen Bräutigam. Mithilfe der Geschenke von Sonne, Mond und Nachtwind gelingt es der treuen, mutigen Frau, die Hochzeit ihres Mannes mit der falschen Braut zu verhindern und ihn für sich zurückzugewinnen.
Anmerkungen
Die Märchenforschung führt Das singende, springende Löweneckerchen als Märchen vom Typ AaTh 425 (Aarne-Thompson-Index) — Suche nach dem verlorenen Ehemann. Doch auch wenn die Treue und Unerschrockenheit der Ehefrau beeindruckend ist, kann eine solche Einordnung sicher nur einen kleinen Teil dieses Märchens erfassen, das wohl gerade wegen seines Reichtums an Motiven zu den schönsten und variantenreichsten im internationalen Märchenschatz gehört.
DER EISENOFEN (HESSISCH, GRIMM)
Die Nadeln steckts sie wieder und wieder in den Glasberg, um darüber zu klettern. Mit dem Pflugrad rollt sie über die schneidenden Schwerter. Schließlich gelangt sie dem Schloss des Königssohns, der inzwischen eine neue Braut hat. Sie verdingt sich als Küchenhilfe, und als sie mit ihrer Arbeit fertig ist, öffnet sie eine der Nüsse, um sie zu essen. Doch darin ist ein wunderschönes Kleid. Die neue Braut will das Kleid kaufen, doch die Königstochter verlangt nichts anderes, als eine Nacht in der Kammer des Prinzen zu schlafen. Es wird ihr erlaubt, doch sicherheitshalber verabreicht die neue Braut dem Prinzen einen Schlaftrunk. So hört er nicht, wie sie weint und von dem Eisenofen erzählt, aus dem sie ihn befreit hat. Das gleiche wiederholt sich mit der zweiten Nuss. Erst in der dritten Nacht, vor der der Prinz den Schlaftrunk heimlich verschüttet, hört er und erkennt er seine frühere Braut. Sie heiraten.
FINIST (SLAWISCH)
Schließlich, nachdem auch das letzte Paar Schuhe durchgelaufen und der letzte Wanderstab gebrochen ist, gelangt sie zur ältesten der drei Alten, die erzählt, dass Finist seit kurzem verheiratet ist. Sie solle sich bei der Frau des Zarewitsch als Magd verdingen. Dann schenkt sie ihr noch einen goldenen Stickrahmen und eine Nadel.
Das Mädchen befolgt den Rat und beginnt, nachdem sie die Hausarbeit erledigt hat, auf dem goldenen Spinnrad zu spinnen. Das gefällt der Frau des Zarewitsch so gut, dass sie es haben will. Das Mädchen verlangt dafür, eine Nacht bei dem Zarewitsch verbringen zu dürfen. Die Frau willigt ein, allerdings verabreicht sie ihrem Mann sicherheitshalber einen Schlafdrunk, sodass er nichts von ihren nächtlichen Erzählungen hört. Die Sache wiederholt sich mit der Schüssel und dem goldenen Ei, was aber wieder nichts fruchtet. In der dritten Nacht, die ihr die Frau gegen den goldenen Stickrahmen gewährt, wird er endlich durch ihre Tränen wach und erkennt sie.
Sehr ähnlich sind auch die lange Wanderung, die die Frau auf sich nimmt, um nach ihrem verlorenen Ehemann bzw. Bräutigam zu suchen, sowie die mit Zaubergegenstände der „falschen Braut“ abgekauften Nächte mit dem Liebsten.
EAST OF THE SUN WEST OF THE MOON / PRINCE VALEMON (SKANDINAVISCH)
Mit dem eisigen Nordwind gelangt sie schließlich zum Schloss östlich der Sonne und westlich vom Mond. Dort steht die Hochzeit ihres Prinzen mit der Trollprinzessin bevor, doch die kann sie — natürlich — mit ihren goldenen Zauberdingen abwenden. Der Prinz verlangt von seiner künftigen Frau, dass sie aus seinem Hemd die Wachsflecken auswaschen soll. Die Waschversuche der Trollprinzessin machen das Hemd nur noch schmutziger, während die rechte Braut das Hemd nur ins Wasser tauchen muss.
Als sich die Frauauf die Suche nach ihrem Mann macht, trifft sie bei jedem der drei Weiber ein kleines Mädchen, das ihr den Zaubergegenstand schenkt. Erst nachdem sie ihren Mann auf dem Schloss der Rivalin (ebenfalls eine Trollfrau) wiedergefunden und erlöst hat, erkennt sie die Mädchen als ihre Töchter und versteht, warum der Eisbär / ihr Mann sie ihr entzogen hat.
FLORINE (FRANZÖSISCH)
Rose ist inzwischen Königin, denn ihr Vater ist vor Kummer und die Stiefmutter vor Wut gestorben. Sie regelt die wichtigsten Dinge in ihrem Reich und macht sich auf den Weg zu ihrem Liebsten. Mithilfe dreier Zaubernüsse, die ihr eine gute Fee geschenkt hat, und Kraft ihrer Liebe und Treue wird am Ende alles gut. Die beiden Liebenden halten Hochzeit.
DIE BEIDEN KÖNIGSKINDER (HESSISCH, GRIMM)
Kurz bevor die beiden das elterliche Schloss des Königssohns erreichen, lässt der Junge seine Braut in einem Dorf zurück, wo sie auf ihn warten soll, damit er sie angemessen mit Wagen und Dienern zum Schloss bringen kann. Doch kaum hat ihm die Mutter zuhause mit einem Kuss begrüßt, vergisst er schlagartig seine im Dorf wartende Braut. Alleingelassen bleibt der Königstochter nichts anderes übrig, als sich als Magd bei einem Müller zu verdingen. Die Mutter sucht ihrem Sohn indessen eine andere Braut. Doch mithilfe der Nüsse kann die Königstochter die Hochzeit mit der falschen Braut verhindern. In jeder ieser Nüsse befindet sich ein wunderschönes Kleid, mit dem sie in die Kirche geht, um der Trauung beizuwohnen. Die falsche Braut wird jedesmal so neidisch, dass sie ihr Jawort verschiebt. Sie bekommt von der Unbekannten das Kleid gegen das Versprechen, vor der Tür des Bräutigams schlafen zu dürfen. Nachts erzählt sie ihm alles, was sie zusammen erlebt haben. In der drittem Nacht dringen ihre Worte endlich an sein Ohr, und er erinnert sich an seine wahre Braut.
Eine andere Art von Zwangsschlaf findet ihren Ausdruck regelmäßig durch einen Schlaftrunk, der verabreicht wird, und zwar in dem Motivzusammenhang der vergessenen Ehefrau des Typs 425 A. Dort hat die junge Frau ein Verbot übertreten, infolgedessen wird der Mann ihr entrückt, und er hat sie vergessen. Am Ende sucht sie sich dem Schlafenden wieder ins Gedächtnis zu rufen durch die nächtliche Schilderung ihrer Suchwanderung oder durch die Anrufung des gemeinsam Erlebten. In den ersten beiden Nächten vernimmt der Mann nichts; denn seine jetzige Braut reicht ihm, nachdem sie der ersten Frau gegen eine Kostbarkeit die Nacht verkauft hat, abends einen Schlaftrunk. Nur die Diener tragen ihm am Morgen eine verworrene Kunde zu von der nächtlich klagenden Frau. Am dritten Abend meidet er den Trunk, vernimmt selbst die Klage, die Erinnerung kehrt ihm zurück, und das Paar hat sich damit wiedergefunden.
Schläferische Taubheit, vernehmendes Wachsein gegenüber den Erinnerungsworten sind in dieser Weise ganz sachlich verknüpft - der Sinn dieses Ablaufs aber scheint doch verborgener zu sein. Mit unwiederbringlichen Kostbarkeiten erkauft sich das junge Weib die Nächte von der zweiten Braut - statt auf eine praktische Weise entweder selbst dem Manne aufzulauern oder ihm in Gestalt von Worten oder Zeichen Kunde von sich zu übermitteln, ein Dienst, den sie ja ebenfalls leicht hätte erkaufen können. Auch sollen es ohnehin die Diener gewesen sein, die ihm den Hinweis auf die Klagende gegeben haben. lhre absonderliche, dem Anscheine nach umständliche oder unzweckmäßige Verfahrensweise muß auch einen sachlichen Grund haben, und der liegt eben darin, daß der Appell an den gemeinen Tagesverstand des Mannes sein Ziel nicht erreichen würde, was in der oben Seite zitierten irischen Fassung auch klar zu Tage liegt. Die Frau muß versuchen, durch die Nacht den Zugang zu seinem auf jeden Fall, ob mit oder ohne Trunk, schlummernden Gedächtnis zu finden, muß suchen, die in umnachtete Tiefe abgesunkene Gemeinsamkeit der Erinnerung wieder ins Tagesbewußtsein zu heben. Indem die zweite Braut, die dämonische Gefährtin in der Entrückung, den Mann absichtlich in Tiefschlaf versenkt, verhilft sie sogar dazu, den sinnvollen Vorsatz der ersten Frau zu verwirklichen. Auch die horchenden Diener könnte man als eine Teilkraft im Helden selbst auffassen, als ein Bild für sein Ahnungsvermögen, insofern sie dem im Tiefschlaf scheinbar gehörlos Versunkenen eine erste ferne Witterung vermitteln von dem, was in ihm aufdämmern will. - In dieser Szenerie wäre daher der durch den Trunk hervorgerufene Zwangsschlaf alles andere als ein Verschluß für das Miterleben, sondern vielmehr ein Zauberschlaf, der gerade zum Aufschließen der verkapselten Erinnerung verhilft.
Sehen wir uns veranlaßt zu behaupten, daß die Suchwanderin notwendigerweise die Verbindung zum Nachtbewußtsein ihres Mannes herzustellen sucht, dann erinnern wir uns daran, daß die Nacht für das Märchengeschehen uberhaupt eine bedeutsame Rolle spielt. Gewiß geht in den Märchen vieles auch unterm Tageshimmel vor, und wir haben schon gesehen, daß dies nicht etwa bedeutet, es verliefe das Geschehen in leibhaft-nüchterner, alltäglicher Weise. Auch im Sonnenschein, gerade auch am hohen Mittag vermag das Geschehen unter den Spiegel des Bewußtseins hinabzutauchen. Aber symbolisch für diese Nachtseite der Natur ist eben auch die Erdennacht, in die das märchenhafte Erzählen manches höchst Wichtige hineinlegt.
Schläferische Taubheit, vernehmendes Wachsein gegenüber den Erinnerungsworten sind in dieser Weise ganz sachlich verknüpft - der Sinn dieses Ablaufs aber scheint doch verborgener zu sein. Mit unwiederbringlichen Kostbarkeiten erkauft sich das junge Weib die Nächte von der zweiten Braut - statt auf eine praktische Weise entweder selbst dem Manne aufzulauern oder ihm in Gestalt von Worten oder Zeichen Kunde von sich zu übermitteln, ein Dienst, den sie ja ebenfalls leicht hätte erkaufen können. Auch sollen es ohnehin die Diener gewesen sein, die ihm den Hinweis auf die Klagende gegeben haben. lhre absonderliche, dem Anscheine nach umständliche oder unzweckmäßige Verfahrensweise muß auch einen sachlichen Grund haben, und der liegt eben darin, daß der Appell an den gemeinen Tagesverstand des Mannes sein Ziel nicht erreichen würde, was in der oben Seite zitierten irischen Fassung auch klar zu Tage liegt. Die Frau muß versuchen, durch die Nacht den Zugang zu seinem auf jeden Fall, ob mit oder ohne Trunk, schlummernden Gedächtnis zu finden, muß suchen, die in umnachtete Tiefe abgesunkene Gemeinsamkeit der Erinnerung wieder ins Tagesbewußtsein zu heben. Indem die zweite Braut, die dämonische Gefährtin in der Entrückung, den Mann absichtlich in Tiefschlaf versenkt, verhilft sie sogar dazu, den sinnvollen Vorsatz der ersten Frau zu verwirklichen. Auch die horchenden Diener könnte man als eine Teilkraft im Helden selbst auffassen, als ein Bild für sein Ahnungsvermögen, insofern sie dem im Tiefschlaf scheinbar gehörlos Versunkenen eine erste ferne Witterung vermitteln von dem, was in ihm aufdämmern will. - In dieser Szenerie wäre daher der durch den Trunk hervorgerufene Zwangsschlaf alles andere als ein Verschluß für das Miterleben, sondern vielmehr ein Zauberschlaf, der gerade zum Aufschließen der verkapselten Erinnerung verhilft.
Sehen wir uns veranlaßt zu behaupten, daß die Suchwanderin notwendigerweise die Verbindung zum Nachtbewußtsein ihres Mannes herzustellen sucht, dann erinnern wir uns daran, daß die Nacht für das Märchengeschehen uberhaupt eine bedeutsame Rolle spielt. Gewiß geht in den Märchen vieles auch unterm Tageshimmel vor, und wir haben schon gesehen, daß dies nicht etwa bedeutet, es verliefe das Geschehen in leibhaft-nüchterner, alltäglicher Weise. Auch im Sonnenschein, gerade auch am hohen Mittag vermag das Geschehen unter den Spiegel des Bewußtseins hinabzutauchen. Aber symbolisch für diese Nachtseite der Natur ist eben auch die Erdennacht, in die das märchenhafte Erzählen manches höchst Wichtige hineinlegt.