"Eine Suchwanderung führt sie zu Sonne, Mond, und Nachtwind (Nordwind). Sie erhält Rat, verhilft der Ehemann, der seine Frau vergessen hat, auch einer in einen Drachen verwandelten Königstochter, verliert jedoch beide, die mit dem Greif in eines fernes Land fliehen. (Mot. B 42) Die Frau setzt ihre Suchwanderung fort, erfährt von der geplanten Heirat ihres Mannes und erkauft sie mittels ihre von Sonne und Mond erhaltenen Zaubergaben (Sonnenkleid, Goldhuhn mit Küken) Nächte beim Ehemann. Zwar verhindert die Braut durch einen Schlaftrunk die Wiedererkennung, aber ein Diener offenbart dem Königssohn das Komplott. Jener erkennt seine Frau wieder, und beide fliehen auf dem Greif. Die Flucht gelingt dank der dritten von Nachtwind erhaltene Zaubergabe, einer Nuss, die mitten auf dem Meer zu einer Nussbaum wird, auch dem sich der Greif kurz ausruhen kann, bevor er das Heimatland erreicht."
"Der Trommler begibt sich zu seinen Eltern und küsst sie trotz den Warnung des Mädchens auf die rechte Wange (Kuss des Vergessens); das vergangene Geschehen entschwindet ihm dadurch. Die verlassene Braut geht auf die Suche, erkauft bei der neuen Braut gegen Hergabe wunderschöner Kleidung drei Nächte bei ihren Geliebten und kann sich ihm, nachdem der List mit dem Schlaftrunk durchschaut ist, offenbaren. Es folgen Wiedererkennung und Heirat."
Der Grad weiblicher Schönheit ist nicht selten durch Vergleiche bestimmt, wobei eine besondere Affinität zu Gestirnen besteht, die, da zeitenüberdauernd, Gleiches auch für die Kleidung der Heldin signalisieren sollen. Auf diese Weise bezieht das Märchen den Kosmos mit ein und wird universal. Das Sonnen-, Mond-, und Sternenkleid kann sich die Schwanenjungfrau mittels eines Wunschringes verschaffen, nachdem ihr Befreier sie nichtsahnend vergessen hat, um eine andere zu heiraten. Die Signalwirkung dieser Kleider auf die neue Auserwählte ist so stark, dass sie die Kleider gegen das Versprechen tauscht, dass die 'rechte' Braut vor dem Zimmer ihres Geliebten einer Nacht zubringen darf. Trotz der angewandten List des Schlaftrunks siegt die 'wahre' Liebe. Während in Löweneckerchen die neue Braut nach dem Wiederfinden der beiden Geliebten aus dem Blickfeld gerät, folgt hier eine harmonische Ausgang: Sie darf die Kleider behalten und gibt sich damit zufrieden.
Häufig aber nimmt die Szene einen ganz leibhaften Charakter an dadurch, daß sie (die herbeigerufene Frau) ihn (den Held) einschläfert, durch Lausen etwa oder sogar durch einen Schlaftrunk, und es mag von Bedeutung sein, daß diese Schläfe des öfteren draußen, im Garten, in einer Laube, auf einer Wiese, im Walde stattfinden.
In dem Maße, wie in dieser Episode das Geschehen den Anschein der Körperlichkeit annimmt, entschwindet den Erzählern das Empfinden für die Wesensbedingtheit des Ablaufes, und sie verlegen den Antrieb dazu in den Willen des Weibes. Vergessen ist, daß die Verbote im Verhältnis der Naturen des weltseitigen Mannes und des wesenseitigen Weibes begründet sind, und wenn die Frau den Schlafenden, dem Anscheine nach, heimlich verläßt, so kann das nurmehr aus ihrer Willkür, Laune oder Untreue herrühren. Vergessen ist, daß der Mann im hiesigen Dasein ihrer nur als eines erscheinenden Wesens ansichtig werden kann und daß ihr demgemäß die Fähigkeit zu verweilen ganz und gar abgeht. Wo das Verständnis für diesen Hintersinn der Begebenheiten verlorengegangen ist, droht die tradierte Form des Geschehens sich aufzulösen.
Eine andere Art von Zwangsschlaf findet ihren Ausdruck regelmäßig durch einen Schlaftrunk, der verabreicht wird, und zwar in dem Motivzusammenhang der vergessenen Ehefrau des Typs 425 A. Dort hat die junge Frau ein Verbot übertreten, infolgedessen wird der Mann ihr entrückt, und er hat sie vergessen. Am Ende sucht sie sich dem Schlafenden wieder ins Gedächtnis zu rufen durch die nächtliche Schilderung ihrer Suchwanderung oder durch die Anrufung des gemeinsam Erlebten. In den ersten beiden Nächten vernimmt der Mann nichts; denn seine jetzige Braut reicht ihm, nachdem sie der ersten Frau gegen eine Kostbarkeit die Nacht verkauft hat, abends einen Schlaftrunk. Nur die Diener tragen ihm am Morgen eine verworrene Kunde zu von der nächtlich klagenden Frau. Am dritten Abend meidet er den Trunk, vernimmt selbst die Klage, die Erinnerung kehrt ihm zurück, und das Paar hat sich damit wiedergefunden.
Schläferische Taubheit, vernehmendes Wachsein gegenüber den Erinnerungsworten sind in dieser Weise ganz sachlich verknüpft - der Sinn dieses Ablaufs aber scheint doch verborgener zu sein. Mit unwiederbringlichen Kostbarkeiten erkauft sich das junge Weib die Nächte von der zweiten Braut - statt auf eine praktische Weise entweder selbst dem Manne aufzulauern oder ihm in Gestalt von Worten oder Zeichen Kunde von sich zu übermitteln, ein Dienst, den sie ja ebenfalls leicht hätte erkaufen können. Auch sollen es ohnehin die Diener gewesen sein, die ihm den Hinweis auf die Klagende gegeben haben. lhre absonderliche, dem Anscheine nach umständliche oder unzweckmäßige Verfahrensweise muß auch einen sachlichen Grund haben, und der liegt eben darin, daß der Appell an den gemeinen Tagesverstand des Mannes sein Ziel nicht erreichen würde, was in der oben Seite zitierten irischen Fassung auch klar zu Tage liegt. Die Frau muß versuchen, durch die Nacht den Zugang zu seinem auf jeden Fall, ob mit oder ohne Trunk, schlummernden Gedächtnis zu finden, muß suchen, die in umnachtete Tiefe abgesunkene Gemeinsamkeit der Erinnerung wieder ins Tagesbewußtsein zu heben. Indem die zweite Braut, die dämonische Gefährtin in der Entrückung, den Mann absichtlich in Tiefschlaf versenkt, verhilft sie sogar dazu, den sinnvollen Vorsatz der ersten Frau zu verwirklichen. Auch die horchenden Diener könnte man als eine Teilkraft im Helden selbst auffassen, als ein Bild für sein Ahnungsvermögen, insofern sie dem im Tiefschlaf scheinbar gehörlos Versunkenen eine erste ferne Witterung vermitteln von dem, was in ihm aufdämmern will. - In dieser Szenerie wäre daher der durch den Trunk hervorgerufene Zwangsschlaf alles andere als ein Verschluß für das Miterleben, sondern vielmehr ein Zauberschlaf, der gerade zum Aufschließen der verkapselten Erinnerung verhilft.
Sehen wir uns veranlaßt zu behaupten, daß die Suchwanderin notwendigerweise die Verbindung zum Nachtbewußtsein ihres Mannes herzustellen sucht, dann erinnern wir uns daran, daß die Nacht für das Märchengeschehen uberhaupt eine bedeutsame Rolle spielt. Gewiß geht in den Märchen vieles auch unterm Tageshimmel vor, und wir haben schon gesehen, daß dies nicht etwa bedeutet, es verliefe das Geschehen in leibhaft-nüchterner, alltäglicher Weise. Auch im Sonnenschein, gerade auch am hohen Mittag vermag das Geschehen unter den Spiegel des Bewußtseins hinabzutauchen. Aber symbolisch für diese Nachtseite der Natur ist eben auch die Erdennacht, in die das märchenhafte Erzählen manches höchst Wichtige hineinlegt.
"Auf ihrer Suche kommt sie zu einem alten Häuschen mit kleinen dicken Kröten. Die alte Kröte gibt ihr drei Nadeln, drei Nüsse und ein Pflugrad. Damit überwindet sie einen gläsernen Berg, drei schneidende Schwerter und reißendes Wasser und lässt sich im Schloss des Prinzen als Magd anstellen. Sie erhandelt sich von seiner neuen Braut dreimal die Erlaubnis, in seiner Kammer zu schlafen im Tausch gegen die schönen Kleider aus den drei Nüssen. Zweimal erfährt er nur von den Dienern von ihrem nächtlichen Jammern, so dass er beim dritten Mal den Schlaftrunk nicht nimmt und mit ihr flieht. Das Haus mit den Kröten ist zu einem Schloss geworden mit Kindern. Sie heiraten."
Im Märchen macht sich die Prinzessin auf die Suche nach dem verlorenen Geliebten, es ist der Teil des narzißtischen Menschen, der sich auf die Suche nach seiner Liebesfähigkeit macht. Sie nimmt alle Mühen auf sich, scheut keine Gefahr und doch macht ihr Verhalten irgendwie einen kindlichen Eindruck. Wie kann man nur, so möchte man fragen, seine eigene Persönlichkeit so vollkommen aufgeben? Wer tut so etwas? Kleine Kinder! Sie tun einfach alles, um die Liebe der Eltern zu gewinnen, überhaupt Liebe zu gewinnen. Notfalls stellen sie sich selbst und ihre Bedürfnisse zurück, um den Erwartungen der Eltern gerecht zu werden. So bleibt die Prinzessin kindlich, sucht die Abhängigkeit und glaubt, ohne diese nicht leben zu können. In ihrem Verhalten erkennt man eine Form der Abhängigkeit, die nur zu oft verwechselt wird mit reifer, partnerschaftlicher Liebe.
Nur die Frage: „Wer bin ich wirklich?“ führt weiter. Die Suchwanderung der Königstochter ist ein Bild dafür. Die Suche nach sich selbst braucht viel Anstrengung und einen enorm hohen Einsatz. Die Königstochter beginnt ihre Suche erst in der größten Not, oft ist es so, dass Menschen erst zu einer Veränderung bereit sind, wenn es ihnen sehr schlecht geht. So wie es auch ganz deutlich ist bei den Suchterkrankten, erst wenn sie ganz am Boden sind und keine Hilfe mehr ihr Leiden verlängert, dann erst bekommen sie die Chance, in ihrer Not neu zu beginnen, manche ergreifen sie dann.
Das Märchen zeigt beide Seiten der Medaille: die Königstochter, die alles hingibt, sich veräußert, alle Äußerlichkeiten opfert, um beim Königssohn zu sein. Ihre Trauer ist tief, und ich Treue hat kindlich anhänglichen Charakter. Auf der anderen Seite der Königssohn, betäubt durch Erfolg, Prestige, Macht, Einfluß und die Jagd danach. Alles wird perfektioniert, mit viel Energie erreicht, mit allen möglichen Mitteln erkämpft. Lieben zu erlernen ist da kein erstrebenswertes Ziel, das soll von alleine kommen, in der Form des richtigen Partners.
„Sehnsucht nach Liebe ist Liebe. Und siehe, du bist schon gerettet, wenn du versuchst, der Liebe entgegenzuwandern.“ Antoine de Saint-Exupéry
Für den Mann gilt es, die verlorene weibliche Seite, die weiche Seite, das Yin zu erlösen. Sie wurde eingesperrt in der Zeit der Verletzung, denn sie war nicht hilfreich. Sie sucht integriert zu werden. Sich positiv abhängig machen zu können, die Fähigkeit zur mitfühlenden, warmherzigen Beziehungsgestaltung, dann muss durch Eroberung und Verführung nicht mehr die „Männlichkeit“ bewiesen werden.
Für die Frau gilt es unabhängig und selbstständig zu sein, ihren Mann zu stehen. Dazu gehört, sich angemessen wehren zu können, eigene Ziele zu verfolgen, selbstsicher und selbstbewußt zu leben.
Sie erkauft sich dann mit Gegenständen, die sie auf ihrer Suchwanderung bekommen hat, eine Nacht mit ihrem Geliebten. Dieser aber hat einen Schlaftrunk bekommen und hört nicht zu. Sie erzäht dann unter Weinen und unter grösster Verzweiflung, was ihr zugestossen ist, stösst diesen Mann an und sagt: "Hör doch endlich einmal zu. Hör doch!" Er hingegen ist unrührbar, unberührbar und schläft einfach weiter. In diesem Märchen wird eine ungeheure Verzweiflung der Frau angesichts dieser schlafenden Gleichgültigkeit ausgedrückt. Gelöst wird das Problem nur dadurch, dass letzlich dieser schlafender Prinz noch spürt, dass irgend etwas nicht so ist wie sonst. Meistens sagt ihm ein Diener - der eine Seite von ihm verkörpert, die nicht ganz so gleichgültig ist - dass da irgend etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Dadurch, dass er die emotionale Erinnerung an seiner Geliebte wieder mitbekommt, wird er rührbar und berührbar, wird die Gleichgültigkeit aufgehoben, und es kann wieder Beziehung einstehen.
Das Märchengeschehen zeigt den Weg, wie man auch in Beziehungen, in denen nur einer der Partner gleichgültig geworden ist, möglicherweise wieder an die zugewandten, interessierten Gefühle herankommen kann.
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